Trauma und Traumabewältigung
Trauma
Über Trauma wird inzwischen häufiger gesprochen und geschrieben. Doch was genau ist damit gemeint? Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt "Wunde". Zum Verständnis: Trauma beschreibt nicht das auslösende Ereignis, nicht die langjährige Dauerbelastung - Trauma bezieht sich vielmehr auf die Folgen, die aus traumatisierenden Ereignissen oder Lebensbedingungen entstehen können.
Zunächst geschieht folgendes: unser Alarmsystem im Gehirn stuft eine Situation als bedrohlich ein, unser Nervensystem fährt automatisch hoch und wir reagieren
- mit Flucht
- mit Kampf
- mit Erstarrung.
Gelingt es unserem Nervensystem danach nicht, in angemessener Zeit wieder zu einer regulierten Form zurückzufinden - also wieder "herunterzukommen", bleibt dies nicht ohne Folgen: Trauma beschreibt demnach die Auswirkungen auf körperlicher und psychischer Ebene, die aufgrund eines bekannten oder auch unbekannten (!) Auslösers "in uns hängen bleiben" - ähnlich einer "geballten Ladung" in unserem Nervensystem.
Dieses Hängenbleiben kann beispielsweise geschehen nach selbsterlebten oder auch miterlebten Erfahrungen wie
- Unfall
- Sturz
- Verletzung
- medizinische Eingriffe
- traumatisches Geburtserlebnis (aus Perspektive der Mutter und des Babys)
- Adoption (aus Eltern und/oder Kind-Perspektive)
- Überwältigung oder Gewalt
- "Missbrauch"/sexualisierte Gewalt
- andauernde Belastung
- fehlende oder unsichere Bindungen (Bindungstrauma)
- zerstörerische Beziehungen (Beziehungstrauma)
- frühe Verletzungen (Entwicklungstrauma)
- anhaltende Überforderung
- lang währende Vernachlässigung
- Trennung oder Verlust
- transgenerationale Weitergabe (transgenerationale Traumatisierung).
Im Zustand der andauernden, oft jahrelangen Übererregung können sich z. B. folgende Symptome zeigen:
- auffällige Schreckhaftigkeit
- anhaltende Stimmungsschwankungen
- Unruhe und Angst
- Vermeidungsverhalten
- Entfremdungserleben, Depersonalisation, Dissoziation
- wiederkehrende belastende Erinnerungen oder Träume
- das Gefühl, "nichts mehr zu fühlen"
- das Gefühl, "da geschieht etwas mit mir"
- "extrem empfindlich und nervös sein "
- Konzentrationsstörungen
- Erschöpfung
- aggressives Verhalten
- Wutausbrüche "aus-dem-Nichts"
- Teilnahmslosigkeit, sozialer Rückzug
- Schlafstörungen
- andauerndes Gefühl, "in hab-acht-Stellung zu sein"
- Unfähigkeit zu entspannen
- Kopfschmerzen ohne objektive Ursache
- Rückenbeschwerden oder Muskelschmerzen ohne Befund
- chronische Schmerzzustände, auf die keine Medikamente ansprechen
- weitere körperliche Beeinträchtigungen ohne Nachweis
- selbstschädigendes Verhalten (z. B. riskanter Konsum von Alkohol oder Substanzen, "Suchen von Gefahr", ...)
Ob wir "mit etwas fertigwerden oder nicht", "ein anfälliges Nervenkostüm" oder "ein dickes Fell" haben - ob wir "nah am Wasser gebaut" oder gerade "dünnhäutig" sind, hängt stark mit unserer persönlichen Verwundbarkeit (Vulnerabilitäts-Stress-Modell) zusammen.
So spielen für den eigenen Erregungspegel weitere Faktoren eine Rolle:
- unsere biologische, systemische und psychische Entwicklungsgeschichte
- persönliche Erfahrungen und Lernumfeld
- Disposition und Prägung durch unsere Hier- und Herkunftsfamilie
- unsere (Fähigkeit zu) sozialen Bindungen
- eigene Voraussetzungen und Möglichkeiten zum Umgang mit Belastung und deren Bewältigung
- ...
Wenn wir uns mit dem Thema Trauma auseinandersetzen, so unterscheiden wir zusätzlich nach verschiedenen Gesichtspunkten und Schweregraden, um Ereignisse und Situationen, die zu Traumafolgen geführt haben, einzuordnen:
- ob wir ihnen als Ungeborenes, als Baby, als Kleinkind, als Jugendlicher oder als Erwachsener ausgesetzt waren
- ob wir dabei in Begleitung oder alleine waren
- ob wir uns daran gefühlsmäßig und/oder mit Worten noch erinnern können
- ob es einmalig oder wiederholt geschah
- ob durch menschliche Willkür oder nicht
- ob wir Hilfe oder helfende Umstände erlebt haben oder nicht
- ob die Familie, in die wir hineingeboren wurden, bereits eine Trauma-Geschichte aufweist.
Traumabewältigung
Wenn die sichtbaren körperlichen Traumafolgen versorgt und verheilt sind, bleibt oft ein bohrendes Gefühl zurück: "es ist alles anders, irgendetwas fehlt", oder Sie zweifeln: "heilt die Zeit wirklich alle Wunden?" Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, "wann hört dieses Gefühl endlich auf?" Traumabewältigung geschieht wie jedes Gesundwerden auf mehreren Ebenen: dazu gehört unter anderem auch das Anerkennen, dass der oder die Trauma-Auslöser Teil der eigenen Lebensgeschichte sind. Es zählen dazu die persönliche Einsicht und Bereitschaft, den Trauma-Erfahrungen im "dort und damals" ihren Platz einzuräumen (Integration), damit sie nicht ständig weiter in die Gegenwart hineinwirken können.
Mit einem Trauma fertig zu werden, bedeutet darüber hinaus, hängengebliebene (An-)spannung zu entladen und dadurch dem überreizten Nervensystem wieder zu Elastizität und Stabilität zu verhelfen. Dann kann ein bewussteres und freieres Leben im "hier und jetzt" möglich werden.
Wodurch kann das gelingen?
- durch Stabilisierung sowie Stärkung der inneren und äußeren Kraftquellen (Ressourcen) zur Erhöhung der Widerstandskraft (Resilienz)
- durch geleitete Wahrnehmungsübungen, die zum behutsamen Wiederankommen im Körper führen
- durch gelenkte Imaginationsübungen (Vorstellungskraft der eigenen inneren Bilder)
- durch individuell ausgewählte Duftanker ("Marker"), die Selbstregulierung auch außerhalb der Therapieumgebung ermöglichen
- durch achtsames Spüren und Übungen zum Spannungsabbau am eigenen Nervensystem
- durch sichere Begleitung in geschützter Umgebung bis hin zur behutsamen Integration der Erfahrungen aus traumatisierenden Lebensereignissen.
Wie wirkt das auf Körper und Psyche?
Ein Beispiel aus dem Tierreich: was uns als "Kopffüssler Mensch" oft sehr schwer fällt, machen uns Tiere in freier Wildbahn instinktiv richtig vor, indem sie sich selbst nach überstandener Gefahr etwa durch Abzittern, langes Weiterlaufen oder heftiges Schütteln regulieren. So bauen sie die im Körper geladene Energie ab, verlassen dadurch den Überlebenskampfmodus und werden wieder handlungsfähig - ganz ohne Traumafolgen.
Mit schrittweisen, therapeutischen Übungen an Ihrem Nervensystem kann Ihr Körper nach und nach traumabedingte (Nerven-)Pfade verlassen, bisherige Muster machen Platz für neue, alternative, neuronale Vernetzung. Dadurch können künftig auch neue Körpererfahrungen zugelassen werden. Zugleich kann Ihre Übererregung und Alarmbereitschaft abnehmen. Das Gefühl der eigenen Ohnmacht oder des "Ständig-am-Limit-Seins" kann dem Gefühl von Stärke, Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit weichen.
Wenn Sie mehr erfahren und sehen wollen, wie sich diese Regulation des autonomen Nervensystems bei Tieren vollzieht, schauen Sie sich dieses Video von Dr. Peter A. Levine , dem Entwickler von Somatic Experiencing (SE)®, in englischer Sprache an: "Nature's Lessons in Healing Trauma".