Von Generation zu Generation – mögliche Wege transgenerationaler Weitergabe

von Barbara Daniel-Leppich

Wenn von transgenerationaler Weitergabe die Rede ist, wird diese oft unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. So liegen beispielsweise Erkenntnisse aus unterschiedlichen Forschungsbereichen vor, die sich wiederum untereinander beeinflussen können:

  • Biologische Faktoren – Auswirkungen auf Genetik und Epigenetik
  • Faktoren aus Bindungs- und Beziehungserfahrungen 
  • Faktoren aus Verhaltenstheorie: Nachahmung und Lernen

Welche Mechanismen können wir uns unter den genannten Bereichen genauer vorstellen?

  • Biologische Faktoren – Auswirkungen auf Genetik und Epigenetik:

Forscher haben im lebenden Modellsystem herausgefunden, dass sich durch gezielt induzierten traumatischen Stress bestimmte Mechanismen in der Lesbarkeit von Genen – vergleichbar etwa mit einem „An- und Abschalten“  - verändern. Diese für Regulationsvorgänge im Organismus ungünstigen Mechanismen können über Generationen weitervererbt werden. Forschungsergebnisse zeigen weiterhin, dass sich unter günstigeren Bedingungen solche veränderten Mechanismen auch zu Lebzeiten wieder rückgängig machen lassen. Dann findet keine Weitergabe an die Folgegenerationen mehr statt.

  • Faktoren aus Bindungs- und Beziehungserfahrungen:

Bindungs- und Beziehungserfahrungen kommt ebenfalls eine entscheidende Rolle zu:  Kinder erfahren im Mutterleib nicht nur Ruhe-/Wach-Rhythmen oder Vorlieben und Abneigungen von Geschmack und Geruch. Schon von der Zeugung an legt das vorgeburtliche Leben im Mutterleib für das Ungeborene einen grundlegenden Baustein der Lebenserfahrung: über biochemische Bedingungen – z. B. Hormone, Neurotransmitter –, mit der der mütterliche Organismus seine eigene Befindlichkeit regelt, nimmt das Kind an augenblicklichen Lebensumständen untrennbar teil. Es erlebt auch die damit verbundenen Gefühlszustände der Mutter unmittelbar mit. Seien sie von Stress oder von Ruhe gekennzeichnet, von extremen oder gemäßigten Lebensbedingungen – sie alle prägen von Anfang an die körperliche und psychische Entwicklung des Kindes. 

Nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren spielt die Bindungsfähigkeit der wichtigsten Bezugsperson, in der Regel die der Mutter, eine entscheidende Rolle. Wenn beispielsweise über das Verhalten des Babys deren eigene traumatischen Erfahrungen erinnert und aktiviert werden, kann die wichtigste Bindungsperson häufig nicht auf dessen Bedürfnisse in feinfühliger und verlässlicher Weise sowie zeitlich angemessen reagieren.

Kann die Bindungsperson aufgrund eigener belastender Lebenserfahrungen mit dem Kind keine sichere Bindung eingehen, wird dies auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes weitreichenden Einfluss nehmen.

  • Faktoren aus Nachahmung und Lernen:

Weiterhin können bestimmte Verhaltensweisen wie beispielsweise Verleugnen oder Verdrängen von schwerwiegenden Ereignissen in der Familiengeschichte auch die folgenden Generationen fortlaufend belasten – Kinder spüren sehr früh, wenn ihnen die eigenen Eltern emotional nicht zur Verfügung stehen oder Unausgesprochenes auf der Familie lastet. Wenn über Mimik und Gestik seitens der Eltern Bedürftigkeit oder Abwesenheit signalisiert wird, wenn bestimmte Themen nicht zur Sprache kommen, kann sich dies auf die Entwicklung des Kindes in verschiedenster Form auswirken: reduzierte Möglichkeiten zum Umgang mit Stress, einschränkende Erfahrungen der Selbstwirksamkeit, mangelnde Fähigkeit zur Emotionsregulation, eingeengte Unterscheidungsmöglichkeit von eigenen und fremden – übernommenen - Gefühlen.

Auch hier gilt: Erfahrungen und Prägungen aus früher Kindheit müssen nicht unveränderbar bleiben. Durch bessere Lebensbedingungen,  neue und damit korrigierende Erfahrungen – auch im Rahmen einer therapeutischen Beziehung - kann Versäumtes aufgeholt und nachhaltig auf Mechanismen transgenerationaler Weitergabe eingewirkt werden.

Weiterführende Quellen:

Luerweg, F. (2020): Epigenetik: Psychotherapie für die Gene? www.spektrum.de vom 23.08.2020 https://t1p.de/zv3q

Waller, C.(2017): (Trans)Generationale Weitergabe früher Traumatisierung auf das kardiovaskuläre System.
62: 507. https://doi.org/10.1007/s00278-017-0235-3

04.01.2017: https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-leonardo-hintergrund/audio-traumata-mit-folgen-spuren-im-erbgut-100.html

Yehuda R et al. (2005): Transgenerational effects of posttraumatic stress disorder in babies of mothers exposed to the World Trade Center attacks during pregnancy. J of Clin Endocrinol 90: 4115 – 4118

Brisch, K.H. (2013): Die Weitergabe traumatischer Erfahrungen von Bindungspersonen an die Kinder. In: Rauwald, M. (2013): Vererbte Wunden. Transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen. Beltz, Weinheim, S. 41

Verhaltenstherapie (2005) 15: 110–112, Interview mit Dr. Michael Meaney: Wie die Zuwendung der Eltern die Stressvulnerabilität beeinflusst; Artikel abrufbar unter https://www.karger.com/Article/PDF/86723

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